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Ulla Pirttijärvi (Finnland) Joik vom Polarkreis
Die samische Sängerin Mari Boine ist bekannt. Aber wer kennt Ulla Pirttijärvi aus Nordfinnland? Dabei hat sie schon sechzehnjährig mit Mari Boine gearbeitet.
Welch klarer, dichter und eindringlicher Gesang: Die Joiksängerin Ulla Pirttijärvi scheint jeden Vokal, jedes Wort, jede Liedzeile aufs Intensivste einzusaugen, bevor sie diese wieder von sich gibt. Für den darunter fließend-treibenden Sound sorgt Frode Fjellheim, der mit traditionelle Sangestechnik mit hinzu gefügten Beats und Samples unterlegt und so eine Auffrischung des Joiks garantiert.
Der unwiderstehliche Charme dieser CD liegt auch im Ablauf der Produktion selbst begründet: Ein Teil der Aufnahmen - insbesondere die Gesangs-Tracks, entstand in Ulla Pirttijärvis Wohnort Utsjoki im äußersten Norden Finnland; die instrumentalen und elektronischen Parts wurden dagegen in New York eingespielt.
Ein Gespräch mit Ulla Pirttijärvi über das Wesen des Joikens: * Was genau ist ein Joik? Der Joik ist der traditionelle, samische Gesang aus der Zeit, als die Samen noch ihre eigenen Siedlungen hatten. Er ist Bestandteil unseres schamanistischen Glaubens. Wichtig ist: Man joikt nicht über etwas. Man joikt die Dinge selbst, so dass sie anwesend sind. Der Neuschnee kommt mit dem Joik oder ein bestimmter Vogel sitzt vor einem. Nicht unbedingt real, sondern als Wesen. * Man erzählt also weniger eine Geschichte ... Man besingt keine Liebesgeschichte in ein paar Strophen, sondern das Gefühl der Liebe, des Verliebtseins soll geweckt und wiedergegeben werden. Ein Joik hat keinen langen Text. Man kann auch joiken ohne jeden Text. Dann hat man einfach den Klang der Stimme. Oder ich saß zuhause und war in eine Hausarbeit vertieft. Wir wohnen am Ortsrand, direkt am Wand und draußen brauste der Wind, nichts sonst war zu hören. Und ich kam zu einem Wind-Joik. * Man kann sich nicht vornehmen: Ich schreibe jetzt einen Joik ... Man muss offen sein, bereit. Man kann sich auch langweiligen. Dann wird es vielleicht ein Joik der Langeweile.
* In Deinen Joiks gibt einen Großvater-Joik oder den Joik ihrer Tochter. Hat jeder Sami seinen ganz persönlichen Joik? Ja. Der Joik ist nicht einfach ein Liedchen. Er ist enorm wichtig für das soziale Gefüge der Gruppe. Wenn ein Kind geboren wird, kreieren die Eltern für das Kind einen Joik, damit es in der Gemeinschaft seinen Platz findet. So, wie man dem Kind einen Namen gibt.
* Gibt es mittlerweile verschiedene Richtungen unter den Joik-Singern? Die Sängerinnen und Sänger haben jeweils einen ganz eigenen Zugang. Mari Boine ist zunächst ganz christlich aufgewachsen und hat erst später, als sie schon eine junge Frau war, ihre samischen Wurzeln entdeckt. Ihre Art zu joiken, ist davon geprägt, und ihre Joiks sind daher vielleicht die am eigenwilligsten. Es kommt beim Joiken darauf an, dass man einerseits die traditionellen Formen kennt und beherrscht, andererseits seine eigene, persönliche Geschichte nicht außen vor lässt. Man kann natürlich Joiks einfach nachahmen. Aber das ist keine große Kunst.
* Bei Dir ist die Instrumentierung sehr wichtig. Gab es die im Joik von Anfang an? Am Anfang wurde nur gesungen. Es gab höchstens eine Trommel, die bei bestimmten Zeremonien eingesetzt wurde. Ab den 70er und 80er Jahren wurden von den jungen Sami immer mehr Instrumente eingesetzt. Gitarre, Bass, Schlagzeug und so. Es kommt aber hier darauf an, den Joik zu bewahren und ihn nicht den Instrumenten unterzuordnen. Du bist frei mit deiner Stimme den Joik zu entwickeln, und es braucht daher richtig gute Musiker, die dir folgen können. * Was sagt uns deutschen Touristen der Joik? Ich weiß ja nicht, wie die deutschen Menschen so fühlen. Aber der Joik kann helfen, unsere samische Lebensart zu vermitteln. Er ermöglicht vielleicht einen anderen Zugang zur Natur. Man schaut sie nicht länger einfach an und findet sie vielleicht schön oder überwältigend. Man spürt wie der Wind, wie der See ist - wenn es dich interessiert. * Wie entsteht ein Joik? Er kommt einfach, wenn er kommen will. Ein Beispiel: Ich war mit meiner Tochter schwanger und ging fischen. Ich fing einen passablen Lachs und fühlte mich rundherum glücklich. Und dann kam der Joik. Vom Lachs, von mir, von meiner Tochter; wer weiß. © Interview Frank Keil
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